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Das Problem des WSIS
Von Alan Toner
Beginnen wir mit der Geschichte zweier Begriffe: dem weithin bekannten
Begriff der "Informationsgesellschaft" und ihrem lichtscheuen Verwandten
"geistiges Eigentum". Die "Informationsgesellschaft", eines der großen
In-Wörter der Neunziger-Jahre, wurde von PolitikberaterInnen,
Universitätsleuten und Gurus gleichermaßen in Umlauf gebracht. Sie
bezeichnete mal die Expansion digitaler Netzwerke, mal die Durchdringung
der Arbeit durch Informationsprozesse, oder den Wandel von materiellen
zu immateriellen Gütern. Die Informationsgesellschaft schien für etwas
Unvermeidliches zu stehen, für eine Folge der intensiven Mediatisierung
in den vorhergehenden Jahren, für etwas, das nicht durch strategische
Interessen begründet war und worauf wir uns, wie wir ständig erinnert
wurden, "alle einstellen müssten".
Diese Rhetorik verstellte freilich den Blick auf die Welle
expansionistischer IP-Gesetze, die mit der "Informatisierung" der
Gesellschaft einherging. Diese gesetzlichen Beschränkungen, deren
Epizentrum das Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights
Agreement (TRIPS), ein Zusatz des GATT-Abkommens, darstellt, waren
jedoch Ausdruck sehr strategischer Interessen im Kontext der
post-industriellen Wirtschaft. Sie haben die herkömmliche Funktion der
IP-Gesetze, nämlich den Schutz von kultureller Produktion und
wissenschaftlich-technischer Innovation, in ihr Gegenteil verkehrt und
sie zu einer Beschränkung dieser Kreativkräfte gemacht. Außerdem haben
sie die Beziehungen zwischen fortgeschrittenen post-industriellen
Staaten und der früheren "dritten Welt" fixiert, in dem sie
Copyright-Monopole schufen, welche die Eigentumskonzentration fördern,
die Marktzugangskosten in die Höhe treiben und zahlreiche unabhängige
Akteure ausschließen. Diese Abkommen stellen sicher, dass die Gewinne
selbst dort, wo die Produktion aufgrund niedrigerer Kosten in diese
Bereiche verlagert wird, nach New York, London oder Zürich fließen.
Copyright-Gesetze schützen den Handel vor der Konkurrenz und vor den
eigenen KundInnen, indem sie es ermöglichen, dass eine Pacht auf die
Vergangenheit eingehoben wird, mit welcher die Beherrschung der Märkte
der Gegenwart finanziert wird, welche ihrerseits als Garantie der
Zukunft begriffen wird. Diese vermeintliche Garantie hat indessen ihren
Preis: In Brasilien werden Software-Lizenzen mit vorgehaltener Waffe
kontrolliert; ein russischer Software-Entwickler wird in den USA nach
einer Konferenzpräsentation vor Tausenden ZuhörerInnen verhaftet und ins
Gefängnis geworfen; ein achtzehnjähriger Norweger wird wegen der
Entwicklung eines Linux-basierten DVD-Players vor Gericht gebracht;
US-BürgerInnen, die an Musik-Tauschbörsen mitmachen, werden als
VerbrecherInnen angeklagt; an Universitäten Forschende handeln sich
Strafverfahren wegen Handelsmarkenverletzung ein, nachdem sie Kenntnisse
publizieren, die aus ihrer eigenen Forschungsarbeit stammen; und in
China werden Handelsmarken-PiratInnen kurzerhand exekutiert, der
Abschreckung wegen. Im Aids-verwüsteten südlichen Afrika und in Asien
haben Pharma-Firmen bei der WTO und bei Gerichten Verfahren angestrengt,
um die billige Herstellung von anti-retroviralen Medikamenten zu
unterbinden, welche die Menschen zum Überleben benötigen. Während einst
Leichen den Weg des vordringenden Kolonialismus und des indifferenten
Warenkapitals säumten, sind sie heute ein Teil der Gewinn- und
Verlustrechnung der Pharma-Riesen, die penibel gegen Lizenzgebühren und
Tantiemen aufgerechnet werden. Mit Hilfe von strengen IP-Gesetzen ist es
den Firmen möglich, eine biopolitische Kontrolle auszuüben, welche die
Tendenz der Kapitalliberalisierung auf Kosten von individuellen und
kollektiven Freiheiten und Rechten, bis hin zum Recht auf Leben, auf die
Spitze treibt.
Warum wir beim WSIS davon nichts hören
Es wäre also naheliegend zu meinen, dass sich eine Veranstaltung wie der
WSIS mit dem im Namen des geistigen Eigentums begangenen Terror
auseinandersetzt. Leider sind derartige Themen aber nicht auf der
Agenda, und zwar nicht aus Nachlässigkeit, sondern aufgrund von
strategischen Interessen.
Informations- und Kommunikationstechnologien waren seit dem Zweiten
Weltkrieg Gegenstand zweier groß angelegter internationaler Initiativen.
Die eine der beiden, die UNO-Konferenz zur Informationsfreiheit, die
1948 ebenfalls in Genf stattfand, wurde durch die Spannungen des Kalten
Krieges überschattet.
Das Bestreben der World Intellectual Property Organisation (WIPO), die
Pariser Konvention über Patente und Handelsmarken neu zu fassen und die
Rolle von Lizenzpflichten bei der UN-Konferenz über Handel und
Entwicklung (UNCTAD) zu verstärken, war dagegen erfolgreicher. Die
UNESCO forderte eine "Neue Informations- und Kommunikationsordnung"
(NWICO), die von einer Kritik der Medienkonzentration und der
kulturellen Beherrschung von Drittwelt-Ländern durch andere Staaten und
durch Wirtschaftsinteressen ausging, und die die zentrale Bedeutung von
Informationsflüssen für die wirtschaftliche Entwicklung betonte:
systemische Ungleichheiten machten es vielen Ländern unmöglich, eine
eigene Medienwirtschaft zu entwickeln und sich so selbst zu
repräsentieren.
Im Zuge der UNESCO-Konferenz von 1978 entstand die "Erklärung zu den
Massenmedien", und eine Kommission, die mit der Analyse der
Kommunikationsproblematik betraut wurde, wurde ins Leben gerufen. Zwei
Jahre später publizierte diese "Many Voices, One World"
(MacBride-Bericht), in dem ein Programm zur Förderung von
Eigentums-Diversifizierung, Meinungsvielfalt und kultureller Identität
vorgeschlagen wurde. Trotz seiner recht maßvollen Forderungen ließ der
MacBride-Bericht den Zorn besonders der US-amerikanischen Medien und
TV-Netzwerke aufflammen, was 1981 zur Declaration of Taillores führte,
in welcher die UNESCO aufgefordert wurde, "von Versuchen, den Inhalt von
Nachrichten zu beeinflussen und Regeln für die Presse zu formulieren,
Abstand zu nehmen".
1984 traten die USA schließlich aus der UNESCO aus (wodurch diese 30
Prozent ihres Budgets einbüßte), kurz darauf folgten Großbritannien und
Singapur. All diese Verhandlungen hatten in multilateralen Foren
stattgefunden, ein Bereich, für den die Reagan-Regierung wenig übrig
hatte: Sie bevorzugte bilaterale Verhandlungen, bei denen bei der
Ausübung wirtschaftlichen und militärischen Drucks weniger Zurückhaltung
notwendig war. Firmen wie Pfizer und IBM, aber auch Industrieverbände
wie die Motion Picture Association of America (MPAA) beschlossen, dass
der gemäßigte Stil der WIPO, die zahlenmäßige Überlegenheit von
Entwicklungsländern und das Fehlen von Zwangsmaßnahmen für
internationale Copyright- und Patentverträge diese für ihre Zwecke
unbrauchbar machte.
Informations-(Real)politik
Die neue bilaterale Handels-Strategie der US-Regierung nahm ihren
Ausgangspunkt in Form des 1983 erlassenen Caribbean Basin Economic
Recovery Act, der verschiedenen Gütern unter der Voraussetzung
zollfreien Zugang zum US-Markt gewährte, dass man sich an die IP-Gesetze
der USA hielt - ein Verfahren, dass in zahlreichen weiteren bilateralen
Abkommen zur Anwendung kam. Im darauf folgenden Jahr schlossen sich die
US-Copyright-Wirtschaft in der International Intellectual Property
Alliance (IIPA) zusammen, deren Aufgabe es war, in der Handelspolitik
die Erzwingbarkeit von Copyright-Gesetzen durchzusetzen.
1986, kurz vor der Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen, wurde der IIPA
ein neuer Verband zur Seite gestellt, das Intellectual Property
Committee (IPC), welcher dafür sorgen sollte, dass die IP-Interessen von
Konzernen vollständig in die Schlussdokumente aufgenommen wurden. Das
IPC war bestrebt, das globale Lobbying der IP-Wirtschaft zu
organisieren, was zum TRIPS-Abkommen führte, das jetzt von der WTO
verwaltet wird. Durch das TRIPS-Abkommen werden in den nächsten zehn
Jahren nach Schätzungen der Weltbank etwa 40 Milliarden Dollar aus den
ärmsten Ländern abfließen, und zwar über die Patentierung von
Arzneimitteln und Saaten sowie durch Lizenzgebühren und Tantiemen.
Eine Konferenz ohne Inhalt
Dieser Machtverlust von UN-Organisationen stellt uns vor ein Dilemma:
Was kann beim WSIS überhaupt sinnvoll diskutiert werden? Der
Erklärungsentwurf verweist auf den fragwürdigen Inhalt des Begriffs
"Informationsgesellschaft" selbst, enthält 71 verschiedene Punkte und
einen Kniff, der an die Hochkonjunktur des "Dot-com"-Wahns erinnert:
jedem Tätigkeitsbereich ein "E-" voranzustellen, um ihn so als
"ICT-Thema" zu entwerfen (E-Verwaltung, E-Learning usw.). Helfen dürfte
das allerdings nichts. Zwei grundlegende Widersprüche bleiben bestehen,
die der WSIS kaum auflösen wird.
Erstens klaffen Rhetorik und Wirklichkeit weit auseinander:
Entwicklungsorganisationen setzen sich zum Ziel, jeder Familie und jedem
Dorf bis 2005 Netzzugang zu verschaffen, während ihre Budgets ständig
schrumpfen und Quellen der Selbstfinanzierung, wie etwa der Accounting
Rate Mechanism, austrocknen. Ähnlich steht es um das einzige noch
existierende Produkt der NWICO-Debatte in der UNESCO, das International
Program for the Development of Communication (IPDC). Ihm wurde die
Finanzierung in einem Maße verweigert, dass es völlig zusammengebrochen
ist. Im Jahr 2001 sanken die Beiträge zu diesem Programm auf ein
Rekordtief von 1,25 Million Dollar. Da die großen "BeitragszahlerInnen"
in den Neunziger-Jahren ihre Entwicklungsgelder massiv gekürzt haben -
die US-Entwicklungsfinanzierung ist als Prozentsatz der Gesamtwirtschaft
die niedrigste seit ihrer statistischen Erfassung - ist die
Wahrscheinlichkeit, dass das Programm eine Wirkung entfalten wird
vernachlässigbar gering.
Zweitens: das im Entstehen begriffene IP-Regime steht im direkten
Widerspruch zu den Zielen dieser Konferenz. Der Zugang zu wichtigen
Informationen wird schwieriger werden, auch wenn Informationstechnologie
das Potenzial hätte, das Gegenteil zu bewirken. Für Entwicklungsländer
werden die Möglichkeiten, eigene Produkte auf den Markt zu bringen
abnehmen, da Copyright und Patentgesetze den Zugriff auf Information
beschränken.
Solange nicht eingesehen wird, dass ein gerechtes IP-Regime ein
integraler Bestandteil einer gerechten Informationsgesellschaft ist,
werden Vorhaben wie der WSIS kaum mehr als Kosmetik und eine ungeheure
Zeitverschwendung sein.
Alan Toner ist Fellow an der New York University, lebt in Rom und ist
Mitglied des aktivistischen Kollektivs Autonomedia.
autonomedia.org
Übersetzung: Wolfgang Sützl
Der Text steht unter der Creative Commons License und erschien zuerst in englischer Sprache in der IP-Sonderausgabe der Zeitung
"World-Information", die von Public Netbase t0 anlässlich des WSIS herausgegeben wurde und sich zentralen Fragen der
Informationsgesellschaft widmet.
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