Österreich erreichen einige Debatten erst, wenn sie aus den USA importiert werden. Dazu zählt auch die Auseinandersetzung um den Nutzen und die Gefahren neuer Technologien, die jetzt in der Person Anne Balsamos, 38 zum Symposion "Puppe, Monster, Tod" und einem Vortrag bei Public Netbase t0 eingeflogen wurde. Balsamo unterrichtet in Atlanta am Georgia Tech Institute, im Rahmen eines Multimedia Graduate Programs. Für die olympischen Spiele 1996 in Atlanta entwarf sie mit Studenten ein Internet Broadcast Projekt für Apple Computer. Diese berufliche Nähe zu großen Computerfirmen steht jedoch in einem krassen Gegensatz zu ihrer kritischen Position gegenüber neuesten Technologien. Nachzulesen in ihrem Buch Technologies of the Gendered Body (Duke University Press, 1995)
dolores: Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Kritik?
Anne Balsamo: Begonnen habe ich mit einer Untersuchung des Bodybuilding. Was ja in mancherlei Hinsicht die organischste "Body"- Technologie ist und die zudem am wenigsten invasive, nicht wie kosmetische Chirurgie, die das Fleisch aufschneidet. Nach einem Streifzug durch unterschiedlichste "technologische Szenen" wie beispielsweise die kosmetische Chirurgie, bin ich schließlich bei neuesten Kommunikationstechnologien angelangt. Seitdem befasse ich mich mit allem, was unter das Stichwort neue Medien , World Wide Web, Interaktives Fernsehen oder Virtual Reality - fällt.
dolores: Können sie bei all diesen doch sehr unterschiedlichen neuen Technologien ähnliche gesellschaftliche Auswirkungen erkennen?
Anne Balsamo: Ich denke die Ähnlichkeiten liegen darin, daß sie zwar alle neu sind, aber doch Strukturen wiederholen, die wir schon kennen. Oftmals werden neue Technologien marktschreierisch als gesellschaftlich revolutionierende Entwicklungen angepriesen, die neue Erfahrungen, zum Beispiel des Körpers oder des Raumes, möglich machen sollen. Doch wenn man sie dann verwendet oder an ihnen partizipiert, scheint es, daß die Erzählungen, die in ihren Strukturen eingeschrieben sind, alte sind, die beispielsweise Stereotype des Verhältnisses von Frau und Mann oder gängige Vorstellungen vom Körper reproduzieren.
dolores: Könnte es nicht sein, daß sich unser Vorstellungsvermögen nicht schnell genug verändert, so daß wir mit neuen Technologien nichts anderes machen als mit unserem Kühlschrank?
Anne Balsamo: In der Tat verwenden wir Technologien gemäß unseres Vorstellungsvermögens und insofern für Sachen, die wir kennen. Trotzdem denke ich, daß uns neue Technologien Mittel in die Hand geben, die der Kreativität förderlich sind. Diese Werkzeuge machen uns neue Dinge verfügbar und produzieren dadurch Neues.
Der Hype jedoch preist neue Technologien als das beste seit der Erfindung von Weißbrot an: Sie wird uns endlich Demokratie bringen und soziale Unterschiede nivellieren. Diese Versprechungen, ob das nun den Telegrafen oder das Telefon betrifft, versuchen uns immer wieder glauben zu machen, daß dies jetzt der Durchbruch ist, der uns endlich befreit von unserem Nöten und uns zur Erleuchtung führt.
In der Realität sieht es nicht so aus, als ob sich derartige Versprechungen erfüllen würden.
Und die Leute, die möglicherweise kreativer mit neuen Medien umgehen könnten, wie etwa Künstler oder jüngere Leute, sind meist nicht die, die Zugang dazu haben.
dolores: Auf der einen Seite haben Sie eine eher pessimistische Sicht auf die Auswirkungen neuer Technologien, auf der anderen schreiben sie neuen Technologien Potentiale zu. Wie lösen sie diesen Widerspruch auf?
Anne Balsamo: In meinen Untersuchungen, ob das nun zum Thema "Kosmetische Chirurgie", "Bodybuilding" oder über das Internet war, habe ich untersucht in welcher Weise diese Technologien gesellschaftlich aufgenommen werden und wie sie strukturell und institutionell wirken. Ich habe mich gefragt, was sind das für Institutionen, die Technologie determinieren und diese mit Bedeutung ausstatten. Als sich herausstellte, daß traditionelle Muster reproduziert werden, war ich nicht erstaunt. Das bedeutet, Technologie wird mit Hilfe institutioneller Strukturen dazu verwendet, das herrschende Machtsystem zu zementieren. Das ist nicht verwunderlich, wenn man weiß wie Institutionen funktionieren und die Natur des modernen Kapitalismus kennt.
Ich habe deshalb nachgestochert, weil ich denke, daß man nur durch die Analyse der Strukturen und durch den Umgang bzw. durch die Verwendung dieser Technologie etwas ändern kann.
dolores: So sind es nicht die Technologien selbst, sondern die Institutionen, die Technologie zum Instrument herrschender Machtstrukturen machen?
Anne Balsamo: Die Kombination ist ausschlaggebend. Menschen Zugang zu Technologien zu verschaffen, bewirkt nicht von selbst, daß diese verändert werden. Dazu gibt es jede Menge Negativ-Beispiele, ausgehend von republikanischen Politikern aus den USA: Ihre Propaganda lautete, gebt Kindern aus sozial schwachen Familien Computer, damit werden alle Probleme gelöst, es wird keine Computeranalphabeten mehr geben...
dolores: Keine "teenage pregnancies"
Anne Balsamo: Genau. Und sie werden in Zukunft keine Drogen nehmen und keine Waffen mehr kaufen. Das ist natürlich lächerlich, Technologie ist kein Allheilmittel.
Der Punkt ist: Durch Technologie kann nichts transformiert werden, wenn man nicht auch in den Strukturen der Institutionen und Konzerne interveniert, die diese Technologien entwickeln und verwenden.
dolores: Im Falle neuer Kommunikations- und Informationstechnologien ist das nachvollziehbar, aber wie sieht das etwa bei der Gentechnik aus?
Anne Balsamo: Ich weiß nicht genug über Gentechnik, um einschätzen zu können, ob man diese Technologie auch in einem anderen Sinne verwenden kann oder ob in der Logik dieser Wissenschaft schon vorprogrammiert ist, daß es hier in den meisten Fällen um ein fragwürdiges Projekt der Schaffung des "perfekten Menschen" geht.
Es gibt Gruppierungen in den USA, die das "human genome project" politisch anfechten und fordern, daß diese Wissenschaft unter keinen Umständen fortgesetzt werden soll.
Doch das einzige was technologisch unmöglich ist, ist nein zu Technologie zu sagen.
dolores: Warum gibt es so wenig Verständnis für die Notwendigkeit eines demokratischen Zugangs zu neuenTechnologien?
Anne Balsamo: Es liegt im Interesse eines Staates, daß der Zugang zu neuen Technologien, zum Beispiel dem Internet, reguliert wird, denn man möchte schließlich verhindern, daß die Technologien für allzu progressive Ziele verwendet wird, daß sich Menschen etwa Mithilfe neuester Komunikationstechnologien gegen den Staat organisieren. Deswegen gibt es auch die Debatten um Verschlüsselungsprogramme und Kryptographie. Offiziell sollen zum Beispiel alle Schulen mit Internet-Anschluß ausgestattet werden. Doch muß die Anwendung kontrollierbar bleiben, so daß alles was über das Internet verbreitet wird, weiterhin vom Staat kontrolliert werden kann.
dolores: Konträr zu der häufig postulierten Auflösung des materiellen Körpers im Kontext neuer Technologien, weisen Sie wiederholt auf dessen Bedeutung hin, warum?
Anne Balsamo: Ich hebe den Körper hervor, weil seine Rolle von den Anhängern neuer Technologien häufig unbeachtet bleibt. Ich meine damit nicht nur die Auswirkungen, die neue Technologien auf die Materialität, der an ihr partizipierenden Körper haben, sondern auch wie sehr die Entwicklung von Technologien auf den Einsatz von Arbeit und arbeitende Körper gegründet ist. Angesichts der Auswirkungen der Globalisierung auf die menschliche Arbeitskraft ansieht, erkenne ich in Theoriegebäuden, die von der Auflösung des Körpers sprechen, die Saat des Unpolitischen.
dolores: Wie steht es also um unsere Beziehung zu Maschinen?
Anne Balsamo: Ich frage mich, ob wir schon so sehr "Cyborgs" sind, daß wir die Idee der Maschine als Teil unserer Identität sehen, Maschinen als konstitutiv für unsere Identität betrachten. Haben wir uns schon so an die Maschinen angepaßt, daß wir mit ihnen symbiotisch zusammenleben?
Literatur:
Anne Balsamo: Technologies of the Gendered Body. Duke University Press, 1995.