Recht widerstaendig: Einige Gedanken zur Autoritaet des Rechtes im
Cyberspace samt Bonustracks von fuenf weihnachtlichen Sinnspruechen
zum Cyberlaw - mit viel Provokation und einem kleinen Quentchen
Ernsthaftigkeit
RECHT WIDERSTAENDIG
Viktor Mayer-Schoenberger unter poetischer Mitwirkung von Verena Haas
Denn die unvollstaendige Rechtsdurchsetzung im Cyberspace staerkt die
ohnehin schon Starken, Lauten und Maechtigen und schwaecht die
Schwachen nur noch weiter. Daher gilt es, die Gestaltungsspielraeume
des Rechtes im Cyberspace so anzuwenden und einzubringen, dass die
Rechte der Betroffenen verstaerkende und verbessernde Aktivitaeten
durchgefuehrt werden koennen. Diese Aktivitaeten nuetzen
guerilla-artig die Schwachstellen des bestehenden Systems und wenden
es zu ihrem Vorteil. Fuenf Moeglichkeiten werden im folgenden
angeboten, samt merkbarem Sinnspruch, zum Mitnehmen und
Weiterverschenken - immerhin, es ist ja Weihnachtszeit.
In Oesterreich ist das Telekommunikationsgeheimnis durch Art. 10a StGG
verfassungsrechtlich geschuetzt. Anders als etwa in Deutschland darf
in das Telekommunikationsgeheimnis nur mit richterlichem Befehl
eingriffen werden.
Der Cyberspace ist aber weltweit. Und, wenn Geheimdienste mitlauschen
wollen, dann koennen sie das in Laendern tun, in denen das Grundrecht
des Telekommunikationsgeheimnisses nicht so einschraenkend ist, wie in
Oesterreich. So wird immer wieder davon berichtet, dass der
amerikanische NSA mit "befreundeten" Nachrichtendiensten ein
weltumspannendes Abhoernetz fuer die Telekommunikation errichtet
haette. Alle internationale Telekommunikation laufe ueber spezielle
Computer, die nach Schluesselwoertern suchen (zB "Bombe") und, wenn die
Schluesselwoerter etwa im Header einer Email gefunden werden, diese
Email automatisch speichern und einer weiteren Auswertung zufuehren.
Experten raten deshalb, sensitive Emails zu verschluesseln. Aber eine
Verschluesselung nur von sensitiven Nachrichten reicht nicht aus. Denn
die Filtercomputer der Nachrichtendienste sprechen auch besonders auf
verschluesselte Nachrichten an, getreu dem Motto: Wer etwas
verschluesselt, hat etwas zu verbergen.
Man muesste also den gesamten Mailverkehr verschluesseln. Damit aber
muessten alle Empfaenger der Nachrichten ebenfalls die gleiche
Entschluesselungssoftware installiert haben - und das koennen wir
derzeit nicht voraussetzen.
Was kann man da schnell noch tun?
Nun: Diese gesamte Ueberwachung, so es sie gibt, laeuft darauf hinaus,
dass aus dem riesig grossen Informationsstrom eben ueber
Schluesselwoerter ein ganz kleiner Prozentsatz herausgefiltert wird,
den die Maschinen noch "verkraften" koennen. Es gibt aber kein Gesetz,
die Mail-Headers "richtig" zu beschriften. Warum "ueberfuettern" wir
die Ueberwachungssysteme nicht einfach, indem wir in alle unsere
Email-Headers einfach ein "boeses" Wort (zB "Bombe", "Drogen",
"Atomsprengkopf" etc.) reingeben? So also lautet mein
vorweihnachtlicher Sinnspruch:
Wie gesagt: In das Telekommunikationsgeheimnis - und dazu gehoert
auch, wer wen wann wie lange angerufen hat - kann nur mit
richterlichem Befehl eingegriffen werden. Die heuer in der
Briefbomben-Hysterie Gesetz gewordenen "neuen Fahndungsmethoden"
(Lauschangriff) machen es jedoch moeglich, dass diese Eingriffe in
groesserem Umfang als bisher stattfinden. Dabei ist nicht
unbedenklich, dass diese Fahndungen von sogenannten Sondereinheiten
durchgefuehrt werden (zB EBT, EDOK), die in nahezu voelliger
Anonymitaet operieren.
Eine zusaetzliche Moeglichkeit der Ueberwachung, die allerdings auch
vom Richter angeordnet werden muss, ist die Sicherstellung von Listen
aller Personen/Nummern, die jemand von seinem Telefonapparat angerufen
hat. Man nennt dies untechnisch (!) die "Fangschaltung".
Eine "Fangschaltung" kann man nach dem TKG aber auch als Betroffener
selbst und ohne EDOK und EBT und (ja, ja verfassungswidrig) auch ohne
richterlichen Befehl bekommen: Die Telekom uebergibt nach dem TKG auf
Antrag des Betroffenen diesem/dieser eine Liste aller, die bei einem
angerufen habe, mit Datum und Uhrzeit.
Also: Wenn einmal die streng geheime Stapo anruft, koennte man
aufgrund dieses Fehlers im TKG eine Fangschaltung beantragen und den
Lauschern selbst nachspionieren.
Immer mehr DirectMail-Firmen schuetten unsere Mailboxen mit
Werbebotschaften zu. Rechtlich gibt's da natuerlich das
Datenschutzgesetz, mit der Auskunftspflicht und der Loeschungspflicht
sowie der Moeglichkeit nach der GewO, die Loeschung aus der Datenbank zu
verlangen.
Reagiert der DirectMarketeer aber nicht darauf, muss man langwierig
klagen. Ist er gar ausserhalb von Oesterreich, kann man den
Rechtsanspruch aber - selbst wenn man ihn nachweisen kann - kaum oder
nur mit groesstem Aufwand durchsetzen. Das ist das Problem des
statisch gedachten Datenschutzes!
Westin und andere haben deshalb die Einfuehrung eines Marktes fuer
personenbezogene Informationen gefordert (Informationsmarkt). Danach
waere es schon besser, wenn die Betroffenen ueber ihre
personenbezogenen Informationen tatsaechlich vertraglich verfuegen
koennten, die Informationen also etwa an den Meistbietenden verkaufen
koennten.
In den USA bekaempfen manche die postalischen DirectMails, indem sie
Briefe an DirectMail-Unternehmen senden und darin im Form eines
konkreten Anbotes folgendes Rechtsgeschaeft vorschlagen: Der
DirectMailer darf weiter seine DirectMails senden, verpflichtet sich
aber zur Zahlung eines Betrages von $ x,- fuer jedes an den
Betroffenen versandtes DirectMail. Diesem Anbot koenne der
DirectMailer durch Uebermittlung eines DirectMails konkludent
zustimmen. In den USA hatte diese Methode einen mitunter
durchschlagenden Erfolg: Viele DirectMailer fuerchteten auf Zahlung
dieser Geldbetraege geklagt zu werden und strichen lieber die Adressen
aus ihren Verzeichnissen.
Das koennte man auch am Internet machen, gerade auch, weil die meisten
Spammer aus den USA sind. Und schon waeren (hoffentlich) die Mailboxen
wieder leerer.
Bisher war immer der/die AutorIn fuer das Gesagte verantwortlich; wenn
etwas gegen die Gesetze verstiess hatte er oder sie sich zu
verantworten.
Immer oefter sollen aber nach dem Willen des Gesetzgebers nicht
Inhalte gaenzlich verboten werden, sondern nur bestimmten Gruppen (zB
Jugendliche) nicht erreichen. Fuer den Bereich des Rundfunkes haben
die amerikanischen Gerichte dafuer die Fiktion der "captive audience"
geboren: der "gefangenen Anwender", die voellig unwisssend etwa ueber
Pornografie stolpern. So koenne man keine unmoralischen Inhalte im TV
am Nachmittag bringen, weil viele Kinder einfach "channelsurfen" und
auf diese Inhalte zufaellig stossen wuerden.
Wenn man versucht, diese Analogie aus dem Rundfunk auf das Internet zu
uebertragen, endet man am Communication Decency Act, dem
amerikanischen Internet-Zensur-Gesetz, dass aber - so ein Pech fuer
die Zensoren - vom amerikanischen Hoechstgericht aufgehoben wurde.
Flinke Buergerrechtler haben sich jedoch schon Gegenstroemungen
einfallen lassen, um diese Lust des Gesetzgebers zur Regulierung zu
daempfen. Bekanntester Vorschlag ist PICS (Plattform for Internet
Content Selection). Danach markiert jeder einfach seine Inhalte nach
einem (oder vielen) Systemen, vergibt ein "Label". Dann koennen die
Webbrowser der Benutzer einer fulminanten rosa Brille gleich nur das
herausfischen und anzeigen, was die Benutzer vorher eingestellt haben.
Diese rosa Brille funktioniert aber nur, wenn alle bei Strafandrohung
richtig "labeln" muessen. Und diese Pflicht gibt es nicht. Damit aber
funktioniert das Ding nicht.
Freilich ist PICS ganz grundsaetzlich falsch: Die rosa Brille sollte
es nicht geben - es wird Zeit, dass wir den Schmutz der Realitaet im
Cyberspace zulassen. Warum soll der Cyberspace clean" sein und die
Realitaet schmutzig? Eine innovativ-subversive Taktik gegen PICS, die
allerdings voellig legal ist: falsch "labeln" nach Herzenslust.
Schliesslich gibt's noch das Problem der transaktions-generierten
Informationen (TGI): Durch Online-Transaktionen (und sei es nur das
Web-Browsen) generiere ich Informationen, die sehr wertvoll sein
koennen, aber ueber die ich nicht mehr verfuege.
Besonders abartig sind dabei die sog. Cookies: Sie geben die TGI mir
(eigentlich meinem Browser) wieder zurueck, aber ohne dass ich es merke
und mein System ist zukuenftig freizuegig mit diesen TGIs: es gibt sie
gerne und ohne, dass ich es erfahre einfach an die Webserver weiter.
Nun sagen manche, man sollte die Cookies nicht akzeptieren oder
laufend loeschen: aber warum denn? Sie gehoeren ja uns und das gibt uns
die herrliche Moeglichkeit sie zu veraendern, nach belieben unseren
Phantasien anzupassen und zu sehen, wie die Systeme am Web mit diesen
angepassten Informationen umgehen.