pit schultz/geert lovink
95 war das Jahr des Untergangs von Techno und des Aufstieg
der
Computernetze. 'Internet kills the Raving Star.' Wir malen ein
futuristisches Schlachtengemaelde: 400.000 Raver finden ihr Waterloo
in
Berlin, deutscher Aldi-Euro-Trash erobert die Ostgebiete, die
ersten
monumentalen Geschichtsbuecher erscheinen, Camel Werbecampagnen
zu Lande, zu Wasser und in der Luft, Extasy-Leichen in der Boulevardpresse
bis hin zu
Selbstheilungsversuchen mit New Age.
Zur selben Zeit greift der Internet Hype um sich. Zuallererst
ist es
ein Geruecht das von den 'alten' Medien verbreitet wird. Die
Zeitgeistmagazine verkuenden, wir waeren laengst schon alle an
den globalen
virtuellen Partyschaltkreis angeschlossen. Euphorie und Ekstase
wuerde jetzt
vor allem die ergreifen, die sich von zu Hause aus einklinken.
Die Clubs
blieben leer, dafuer gaebe es Staus auf den deutschen Datenautobahnen.
Statt
auf Raves zu gehen koenne man sich virtuell durch hautnahe
Berichterstattungen und megabyteschwere DJ charts klicken, digitale
Snapshots der VIPs vermittelten den Eindruck, man sei dabeigewesen.
Der
globale Orgasmus stehe nun kurz bevor.
Die Kommerzialisierung hat auf beiden Sektoren das Ziel
erreicht,
massenhaft Konsumenten heranzuzuechten ohne je volle Befriedigung
zu
verschaffen. Gewarnt sei vor denen die immer erinnern. In Anfangszeiten
organisierten sich sowohl 'The Net' wie auch 'Technobewegung'
nicht
zentralistisch und top-down, sondern verteilt und bottom-up. 'Jeder
kann
anfangen Techno selbst zu produzieren.' Es ging um die Umnutzung
von
Low-technology fuer eigene Zwecke, 303 und ARPAnet sind Namen
fuer eine
traditionsreiche Kultur durch Technik-Missbrauch. Es ging um die
Verschaltung der Koerper mit dem Sound des Maschinellen und nicht
der
Verschmelzung mit den Bildern der Massenmedien. Energie war das
Stichwort,
nicht Information. Techno lieferte die Begleitmusik zur Oeffnung
der Grenzen
und war durchs Fernsehen schwer einzuholen.
Umschlagplatz Amsterdam. Hier existiert Techno nicht als
Schublade
im Freizeitangebot. Stattdessen gibt es eine Vielzahl an Methoden,
Medien so
anzuwenden, dass der Output maximalen Spass bringt. Das Eunet-kabel
geht von
hier aus in den Atlantik und heim in die USA. Das besondere sind
nun nicht
die Clubs oder 'save drugs', sondern die Art der Verschaltungen
der
einzelnen Sender und Empfaenger, nicht der einheitliche Sound
sondern eine
kreative Art zwischen den verschiedenen Plattformen zu springen
und neue
Kombinationen auszuprobieren. Beispiele sind: Radio Patapoe -
SILO -
xs4all.nl - Staalplaat - De Digitale Stad - PARK TV - Xybertag
Mailbox -
Hoeksteen TV - Radio 100. Die Datenstroeme von Fernsehen, Film,
Video und
DatenNetzen werden gemischt mit Platten, Funktelefonverkehr, Hoerspielen,
alten Zeitungsberichten, Studiogaesten, Poetry und Drummachines.
Multimedia,
Vernetzung und interaktives Fernsehen finden ausserhalb der Apperate
statt
und bringen Bastardmedien hervor.
Der einmalige, fluechtige und anonyme Live-mix im brummenden
Medienverbund, nicht die zielgruppenzentrierte verkaufsorientierte
Informationsware ist das Produkt von Netz-Radio-Club-TV. Alle
Kanaele
*koennen* mit allen Kanaelen verschaltet werden. Der media-space
ist zu
erforschen und nicht der Idenditaet einer bestimmten Stroemung
zum Sieg zu
uebergeben. Komprimieren, Edititieren, Expandieren, Filtern, Zitieren,
Klauen, Verschmutzen, Vervielfaeltigen, Deformieren, Rauschen,
Koppeln,
Mixen. Das Endprodukt ist die Schaffung eines eigenen polymedialen
Raums,
der keine Vorherrschaft einzelner Elemente erlaubt.
Techno ist das aktuelle Audiointerface der Elektrosphaere.
Ihm steht
bevor, den selben Weg zu gehen wie rockistische Gitarrenmusik.
Die Chance
liegt in seinen stilistischen Aufspaltungen und dem ehrfurchtslosen
Einsatz
von Technologien, der Umsetzung von 'human energy' und lokalen
Besonderheiten in weithin ausstrahlende 'songlines'. Der Uebergang
von
Analog zu digital wurde bisher hauptsaechlich durch den Einsatz
von alten
elektronischen Medien zum Klingen gebracht (AnalogSynthies, Vinyl).
Auf der
Seite der Konsumenten ueberwiegt dagegen die pflegeleichtere Digitaltechnik
(Audio-CD, CD-ROM). Die Moeglichkeit liegt nun in den kleinen
schmutzigen
Klangunterschieden des Digitalen Einerlei. 'WIE klingt das netz
nun
WIRKLICH?'. Der fanatische Einsatz von alten Instrumenten fuehrt
zu einer
Nostalgie, einem exaltierten Oldtimertum, dass das Analoge u.
Ehemalige mit
dem Wahren, Natuerlichen und Guten gleichsetzt und immer krassere
Reinheitsgebote aufstellt. Fuer Liebhaber gibt es einen Analogeffektknopf,
der die noetigen harmonischen Verzerrungen aufmoduliert.
'The future sound of cyberspace' haengt von gerade jetzt
ausgehandelten Standards ab, die im Streit von Markt und Politik
festgelegt
werden. Der kurze Sommer des unkontrollierten Internets wird demnaechst
sein
Ende nehmen. Der profitfreie Zusammenschluss aller 'lonely hard-drives'
wird
keinesfalls von T-Online-AOL- -Bertelsman, Microsoft und Compuserve
unterstuetzt. Stattdessen hofft man auf viele Medien-lemminge.
Zur
Sicherheit ruft man schon mal nach den Web-cops. Um mit Techno-on
Demand
Geld zu verdienen ist massenhafter und kreditkartentauglicher
Zugriff
noetig. Fuer die kleinen Labels darf dann in Pfenningbetraegen
abgerechnet
werden. Anti-copyright, low-tech-standards, und Partytauglichkeit
sind
vergessen wenn der Online-sellout beginnt.
DJ wird e-J. Schon jetzt filtert der Datajoeckey einen
Strom von
2000 Neuerscheinungen pro Woche. Der DatenJockey arbeitet mit
Computer und
Universalkeyboard. Er programmiert an advanced algorithmic Musikgeneratoren
mit fancy 3D Interface und holt sich die neuesten Drum patterns,
Gimmicks
und Sounds vom Netz. Midi geht vom Studio in den Club. Artifical
Raves im
Dolby Rundum und 3D TV sind im kleinen familiaeren Kreise moeglich
oder aber
remote im Rudel mittels Datenbrille. Es gibt jetzt schon praktikable
Low-Tech-Standards wie MOD, auch Volksmidi genannt, erhaeltlich
in versch.
Dialekten, lauffaehig auf allen Homecomputern. Von Amiga-Crackern
entwickelt
ist es der einizige real existierende Standard mit dem Tracks
in
Minutenlaenge in ertraeglicher Zeit durchs Internet und auf diverse
Festplatten passen. (ca. 200K f. 5 min) Es soll bereits vereinzelt
Pioniere
auf belgischen Terrain geben. 'Watch out for first professional
MOD=
releases...'
Die Verbindung mit neuen Medien allein reicht keinesfalls
aus. Die
Temporaere Autonome Zone (T.A.Z., Hakim Bey) war das Reizvolle
an Techno
zwischen 89 und 95. Sie richtete sich gegen eine Gesellschaft
des
Spektakels, und etablierte sich entgueltig in Mehrzweckhallen-Massenraves
und im senatsgefoerderten Techno Museum mit echten VJs. Was tun?
Neue
Richtungen sind nicht zu entwerfen, Techno-medien koennen die
organisierte
Sehnsucht nicht herbeifuehren. Techno 2.0, die Erneuerung der
Bewegung durch
das Internet, laesst AN SICH nichts besonderes erwarten. Nur wer
die Regeln
der Kunst des Verschwindens beherrscht hat die Moeglichkeit wieder
aufzutauchen. 'Es muss eine offene Infrastruktur fuer die Weitergabe
von
etwas Fremdartigem bereitgestellt werden. Nur dann kann man das
Neue
verkoerpern und austoben.'